Bericht von Pia aus Posadas

Freiwilligendienst im Mädchenheim "Santa Teresita del Niño Jesús"

Nach meinem Abi ging es für mich los in ein großes Abenteuer, denn ich wollte 4 Monate ein bisschen die Welt bereisen und danach 6 Monate im Mädchenheim Santa Teresita in Posadas als Freiwillige arbeiten. Während meiner Zeit habe ich einen Blog für meine Familie und Freunde geschrieben – hier ein paar Auszüge über das Leben und Arbeiten in Posadas:

In meiner ersten Woche waren noch andere Deutsche von AYUDA da, sodass sie mir noch super viel mit Spanisch helfen konnten, weil ich absolut nichts konnte. So sind wir alle zusammen an einem Tag ins Schwimmbad gegangen. Das war nicht nur für die Kinder ein großes Ereignis, sondern auch für mich, da plötzlich gefühlt tausende Kinderstimmen auf mich einprasselten und mit mir spielen wollten. Und so spielten wir den ganzen Tag im Wasser, wobei meine Unterwasserkamera seeehr gut ankam und jeder Bilder machen wollte. Die restlichen Tage haben wir Deutschen noch viel mit den Kindern gespielt, musiziert (Gitarre, Flöte, Klavier und viele viele Kinderstimmen) und geredet (die Kinder wollen wirklich alles wissen!) und haben auch die sehr heruntergekommenen Fahrräder repariert, bzw. reparieren lassen. Als sie dann abflogen, ging der „Ernst des Lebens“ erst richtig los! Ich hatte aber überhaupt gar keine Bedenken, weil ich mich direkt im Heim wohl gefühlt und mich mit den Heimleiterinnen und Kindern auch auf Anhieb super verstanden habe.

Die Mädchen gehen versetzt in die Schule – d.h.: die „Großen“ (11-15 Jahre) haben vormittags Unterricht, währen die „Kleinen“ nachmittags in die Schule gehen. Außer am Abend sind also immer nur die Hälfte der Kinder im Heim, und es gibt täglich Nachhilfestunden, private Einheiten mit Psychologen für jeden und verschiedenste freiwillige Freizeitsangebote für klein und groß: Theater, Yoga und Meditation, klassisches argentinisches Tanzen, Textilmalerei, Lesestunde, Häkeln und Stricken oder Akrobatik am Seil. Sobald sie etwas lernen oder mit ihren eigenen Händen tun können, sind alle eifrig bei der Sache. Und auch nur das, was sie mit ihren eigenen Händen machen, behandeln sie sehr vorsichtig – während alles andere nach kurzer Zeit verdreckt, kaputt oder verloren ist. Außerdem kommt regelmäßig der Kinder- und Zahnarzt in das extra dafür eingerichtete Behandlungszimmer und untersucht jedes Kind gründlich.
Ansonsten spielen die Kinder sehr viel und sehr gut miteinander. Wenn es dann doch mal zu Streitigkeiten kommt, regeln die Mädchen fast alles unter sich. Bei solchen Auseinandersetzungen spürt man vor allem dann Hilfslosigkeit, Verzweiflung und Angst, aber auch wieder Gemeinschaft, Vertrauen und Liebe, denn die Mädchen bilden eine große Familie und helfen und trösten sich bei allem immer gegenseitig.

Mein Hauptprojekt hier im Heim ist Klavier-, Blockflöten- und Steppunterricht. Da wir ja hier in Lateinamerika sind, ist alles rund um die Musik super beliebt und kommt sehr gut an – die Kinder können sich richtig gut konzentrieren und sind bei der Sache. So gebe ich etwa 40 Mädchen Klavier- und 20 Mädchen Blockflötenunterricht einmal in der Woche (die Unterrichtseinheiten sind dabei allerdings nur kurz, weil ich sonst nicht alle Kinder unterkriege) und steppe mit ihnen. Es ist toll zu sehen und macht unheimlich viel Spaß, wie schnell sie Fortschritte machen und immer sofort was Neues lernen wollen. Nach etwa 2 Monaten können die Großen schon den „Flohwalzer“ mit allen mir bekannten Variationen und einfache Melodien von „Titanic“ oder „Let it be“ auswendig spielen, nachdem sie auch fleißig das Tonleiter hoch- und runterspielen geübt haben.
Neben diesen alltäglichen „Aufgaben“ spiele, singe, male und bastel ich auch viel mit den Kindern – wobei Armbänder knüpfen und Bilder zusammen malen am beliebtesten sind. Auch haben wir in der Woche vor Ostern fleißig Osterdekorationen für Zuhause und das Heim gebastelt. Und ich habe noch viel viel mehr Ideen in meinem Kopf, was man noch alles mit den Mädchen machen kann.

Ein typischer Tagesablauf in Heim sieht folgendermaßen aus:

  • Früh morgens um halb 7 werden  die Mädels von Señora Monika geweckt, machen sich schnell fertig (die Großen ziehen sich Schuluniform an) und gehen in den Speisesaal zum Frühstücken

  • Es wird vorher gebetet und ausgesucht, wer von den Kleinen den Abwasch macht, den Speisesaal kehrt, die Toiletten putzt und den Salon kehrt

  • Nach dem Essen wird wieder gebetet und für die Großen fängt die Schule um 7.30 Uhr an, während die Kleinen sich an ihre Aufgaben machen oder spielen gehen

  • Um 8.30 Uhr (außer montags und freitags) kommen zwei Nachhilfelehrer, die in kleinen Gruppen zwei Stunden lang helfen, wiederholen, üben

  • Um 11 Uhr geht es dann für die kleinen „Internas“ (die Mädels, die unter der Woche auch im Heim schlafen – ca. 25) „a bañarse!“ – es wird geduscht, die Uniform angezogen und eine schöne Frisur gemacht

  • Fast das Gleiche passiert für die „Media-Internas“, wenn laut „a cambiarse y peinarse!“ gerufen wird – die Mädels ziehen sich ihre Uniform an und stellen sich an der Haaremachen-Schlange an!

  • Während des gesamten Vormittags gebe ich Klavier- und Blöckflötenunterricht an die Kleinen, die gerade „Zeit“ haben – ich habe eine Art Stundenplan aufgehängt, wo drauf steht, wer an welchem Tag was hat

  • Auch kommen am Vormittag immer die Psychologinnen vorbei, die sich immer ein Mädchen rauspicken

  • Gegen 12 Uhr kommen dann die Großen aus der Schule zurück; es wird sich umgezogen, und schon heißt es „al Comedor!“

  • Alle Kinder strömen in den Speisesaal, es wird wieder gebetet und ausgesucht, wer diesmal von den Großen dieselben Aufgaben wie am Morgen übernimmt

  • Wenn alle fertig gegessen haben, wird natürlich wieder das Dankgebet gemacht, und die Kleinen suchen ihre verstreuten Sachen für die Schule zusammen

  • Wenn um 1 Uhr dann die „Timbre!“ der Schule zu hören ist, gehen sie in ihre Klassen. Die Großen machen sich entweder an ihre Aufgaben oder spielen, machen Hausaufgaben oder ruhen sich einfach ein bisschen aus

  • Wenn alles geputzt ist, steht auch schon direkt die nächste Beschäftigung an: Häkeln mit Señora Bilda! Dabei versammeln sich alle am Tisch im Salon, es wird Musik gehört und jeder häkelt fleißig verschiedene Sachen, wie Schal, Babyschuhe, Mütze, Topflappen etc., die dann hauptsächlich einmal im Jahr im Heim verkauft werden. Den Mädels macht das wirklich super Spaß, und für sie ist es auch eine Art Entspannung – und auch ich setzte mich gerne dazu und häkel mit

  • Bis um halb 4 dann die Nachhilfelehrerinnen, diesmal für die Großen, kommen, wird gehäkelt oder gespielt, aber auch ich nutzte die Zeit, um mit ihnen Klavier und Blockflöte zu spielen

  • Um 5 Uhr  kommen die Kleinen wieder aus der Schule, die „Internas“ ziehen sich um und dann geht’s auch schon zur „Merienda“ (dem argentinischen Kaffee & Kuchen mit Tee/Kakao/Saft und Kekse/Chips/etc.) in den Speisesaal, und wieder folgt der gleiche Ablauf mit Beten und Putzdienst bestimmen

  • Danach ist eigentlich jeder Tag anders, denn es gibt die verschiedensten Freizeitbeschäftigungen für Groß und Klein: Folklore-Tanzen (der argentinische Nationaltanz), Theater, Lese-Bastel-Mal-Stunde, Sportstunde im Hof, Deutschunterricht, Textilmalerei, Kunst-Turnen (dabei werden an zwei Seilen, die von der Decke fallen, verschiedene Posen geturnt), Meditation & Yoga,… Bei diesen Angeboten mache ich entweder mit oder ich gebe wieder Unterricht für diejenigen, die gerade nichts zu tun haben!

  • Während dieser Zeit am Abend kommt auch regelmäßig der Kinder- und Zahnarzt und untersucht jedes Kind

  • Um halb 8 gibt es dann Abendessen, und wieder gibt es den gleichen gewöhnten Ablauf. Nach dem Essen bleibt den Mädels (und mir) noch ungefähr eine Stunde, in der wiederrum gespielt, getanzt oder Musik gehört wird, bis es zum Schlafen geht

  • Ich begleite sie dann zusammen mit Señora Nora nach oben in ihre Schlafsäle, helfe den Kleinen und überprüfe, ob sie sich auch alle gewaschen und die Zähne geputzt haben. Und zuletzt bekomme ich natürlich noch tausend Gute-Nacht-Küsse und -Umarmungen!

Mir ist von Anfang an aufgefallen, und ich finde es bewundernswert, wie ausgelassen fröhlich und glücklich die Kinder spielen und sind, sobald sie in den sicheren und ihnen vertrauten Rahmen des Heimes kommen. Und das trotz ihrer mehr als schwierigen Familienverhältnisse mit schlimmen, verletzenden Erlebnissen. Die Mädchen sind also hin- und hergerissen zwischen ihrem Zuhause (es bleiben trotz alledem immer noch Mama und Papa, an die auch immer wieder Kärtchen und Bilder gemalt werden) und dem Heim, und man merkt sehr eindeutig die Veränderungen bei manchen Mädchen, wenn sie nach einem Wochenende in ihren Familien zurückkommen – aber schnell zeigt sich dann ein herzhaftes Lachen in ihren traurigen und verschlossenen Gesichtern.
Deshalb bin ich auch immer für die Mädchen da, wenn sie jemanden brauchen zum Drücken, Schmusen, Reden oder einfach als eine Bezugsperson, die ihnen Aufmerksamkeit, Liebe, Nähe und Zuneigung schenkt; die für sie da ist, ihnen zuhört und die es wirklich interessiert, wie es ihnen geht. Und so verteile ich den ganzen Tag Umarmungen und vieles mehr – und bekomme so einiges, z.B. in Form von Bildern und Briefen, tausend Mal zurück.
Während meines Aufenthaltes habe ich bereits sehr viele Seiten von den Mädchen kennengelernt: verschlafen oder müde; traurig oder glücklich; spielend, tanzend oder erschöpft; wütend, beleidigt oder stolz! Und manchmal weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll, so stark und tapfer sind sie alle auf unterschiedliche Art und Weise, nachdem, was sie schon alles mitmachen mussten.

Und dann war meine Zeit auch schon vorbei, und ich kann immer noch nicht fassen (jetzt schon seit mehr als 3 Monaten wieder zurück in Deutschland), dass alles so schnell vorbei ging. Ich bin immer noch, und das wird auch noch so bleiben, da bin ich mir ganz sicher, viel in Gedanken in Posadas und bei den Mädchen und denke über all meine Erlebnisse (egal ob traurige und schlimme oder fröhliche und tolle) nach. Es war eine einmalige Erfahrung, die ich nur jedem empfehlen kann.

Eckdaten

Ort:Posadas / Provinz Misiones
Jahr:2014
Dauer:6 Monate
Freiwillige:Pia Sommer